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Das Realitätsvergleichsparadoxon

Menschen und ganz besonders wir Deutschen lieben es, die Realität durch Vergleiche zu erklären oder zu "quasi-beweisen". Dabei ist es sogar oftmals unerheblich, ob es sich um tatsächliche Fakten oder nur gefühlte Zustände handelt, mit denen aktuelle Ereignisse verglichen werden. Ein Paradebeispiel ist das Wetter. Auch in diesem Jahr wird es wieder den heißesten Tag im Monat X seit Beginn der Wetteraufzeichnungen geben, während unsere Eltern kund tun, dass dieser heiße Tag ja niemals mit dem vergleichbar ist, was sie tagtäglich in ihrer Jugend im Sommer erlebt haben. Ob faktisch oder nicht, jede Bezugsgröße ist letztendlich für den aktuellen Tag selber vollkommen unerheblich, denn sie ändern weder das Wetter noch helfen sie uns bei der Entscheidung, welchen Sonnenfaktor wir wählen sollen. Trotzdem begegnen wir sinnlosen Vergleichen immer wieder.

Als Fußballfan gehört man zu einer Spezies, die diese Eigenschaft dahingehend perfektioniert, dass zukünftige Ereignisse bereits in der Gegenwart durch die Vergangenheit erklärt werden und als Fakt akzeptiert werden. Das hört sich kompliziert an, aber Fußballfans sind eben nicht so einfach, wie sie gerne hingestellt werden.

Wenn zum Beispiel ein Verein wie Werder Bremen einen neuen Spielgestalter gefunden hat, fällt die Beurteilung der Fans über den Neuen in Abhängigkeit der Nationalität aus, die dann entweder Hoffnungen oder Ängste schürt. Ist er ein Brasilianer, so wird es der "neue Diego" (bzw. wenn er unter 20 ist, der "kleine Diego"), der in den Köpfen der Fans zwei tolle Saisons spielt und dann für viel Geld verkauft wird. Wäre er Türke, ist es der neue Özil, als Franzose der neue Micoud mit all den jeweiligen Eigenschaften, die diese Spieler mitbrachten. Käme der neue Bayern Stürmer aber aus Italien, würde er einen schweren Start bei den Fans haben, da Rizzitelli eher schwere Jahre in der bayerischen Landeshauptstadt verlebte. Dahinter steckt immer die Hoffnung der Fans nach dem ultimativen Erfolg, der in der Vergangenheit durch diese Spieler erlebt oder verhindert wurde. Man könnte es auch Sicherheitsmechanismus nennen, der das Altbekannte als Bezug wählt, um das Unbekannte zu erklären, wobei innerlich immer der Wunsch besteht, dass die Wünsche bei weitem übertroffen werden.

Wie ein Spieler mit einer solchen Last zurechtkommt, kann sehr unterschiedlich sein und hängt von der jeweiligen Persönlichkeit ab. Viel interessanter aber ist es, wie Mannschaften mit derartigen Vergleichen umgehen, mit denen sie vor wichtigen Spielen konfrontiert werden. Nehmen wir die Engländer und deren unrühmliche Elfmeterbilanz. Eigentlich war allen Zuschauern im Vorfeld bereits klar, dass dieses Elfmeterschießen gegen Italien gar nicht gewonnen werden kann. Der Engländer an sich kann keinen Elfer schießen! Fakt…es sei denn er spielt zum Beispiel im Champions League Finale in München. Nun, es ist tatsächlich wieder so gekommen, aber hat ein Young, der den ersten Elfmeter verschossen hat, diesen tatsächlich versemmelt, weil Chris Waddle 1990 den Ball gen Tribünendach drosch? Wohl kaum. Eher vielleicht, weil alle Welt im Vorfeld bereits klar gemacht hat, dass die Engländer eigentlich schon den Busfahrer anrufen können, wenn es nach 120 Minuten noch unentschieden stehen sollte.

Vor dem Spiel gegen Italien erleben wir das gleiche Paradoxon. Wir haben noch nie bei wichtigen Spielen gegen Italien gewonnen. Eine Information, die im Grunde genauso interessant ist, wie die, dass die Italiener noch nie mit einem Linksfuß ein Elfmeterschießen begonnen haben. Wenn man sich anschaut, wie selbst in der Bundeliga Hin- und Rückspiele einer Saison komplett unterschiedlich verlaufen können, sind historische Vergleiche über Jahre erst recht vollkommen unerheblich. Dennoch geistert der Begriff "Italien Fluch" durch die Boulevard-Presse und führt dazu, dass den Spielern etwas eingeredet wird, was dann tatsächlich das Spiel oder gewisse Szenen beeinflussen kann. Damit könnte die Vergangenheit tatsächlich die Realität beeinflussen, aber gewusst haben wir das ja eh schon.

In dem Sinne

Auch die Italiener kochen nur mit Wasser

Euer Sportkamerad Sascha00

 

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